»Keine ehrenwerte Lady«
Sarah Denby
Historisch
302 Seiten
Dritte Person, Vergangenheit
voll zaghafter Hoffnung, die jeden Augenblick den Todesstoß erwartet
Greydon Cavendish
der Marquess of Clifford
Constance Stanhope
Tochter des verstorbenen Earl of Edale
Constance, die nie aufgehört ha daran zu glauben, dass sie Liebe verdient hat.
Greydon, der sie von Anfang an immer sein »Füchslein« nennt.
Der Spitzname, den sich Greydon für »sein Füchslein« ausgedacht hat. Das klingt so liebevoll. Dazu gefiel mir ausnehmend gut, wie er langsam aber sicher zu einem Besseren bekehrt wird 🙂
Ich konnte sehr mit Constance mitfühlen. Ihre Hoffnung und ihr zaghafter Glaube daran, dass sie es verdient haben könnte, geliebt zu werden. Und dann die Notwendigkeit, all das zu verleugnen, nur um überhaupt überleben zu können, ist schon hart.
angenehm zu lesen
Ich fand die Gründe für Constances zweite Flucht nicht wirklich nachvollziehbar.
Vor die Wahl gestellt, ob sie lieber ihren gewalttätigen Cousin oder den seit Kindheitstagen verhassten Marquess of Clifford heiraten will, entschließt sie sich für Letzteres. Auch wenn das bedeutet, dass sie nie die Liebe erfahren wird, nach der sie sich sehnt und von der sie tief in ihrem Inneren glaubt, sie verdient zu haben. Denn ihr Zukünftiger stellt klar, dass die Ehe nur auf dem Papier bestehen wird.
Als sie den Kopf wieder hob, fiel ihr Blick auf eine Gruppe junger Herren, die in der Nähe der weit offenen Glastüren zum Foyer standen. Ausgesucht formidabel gekleidete junge Herren, an denen Knöpfe blinkten und Spitzenkragen schimmerten. Sie unterdrückte den Drang, an sich selbst hinunterzublicken und einmal mehr festzustellen, dass ihr sonnengelbes Kleid seit gut zehn Jahren aus der Mode war. Es war kein Wunder, dass niemand sie bemerkte!
Doch das stimmte nicht. Einer der Herren starrte sie an. Quer durch den Raum hindurch, ungeniert und völlig unbeeindruckt davon, dass immer wieder ein Tanzpaar seinen Blick versperrte.
Er war nicht der Größte in der Gruppe, aber selbst auf die Entfernung hin sah sie, dass keiner besser gekleidet war als er. Von den auf Hochglanz polierten Lederstiefeln über die enganliegenden hellbeigen Hosen, der ebenfalls hellen Weste mit den schimmernden Brokatmustern und dem Frack im allerneusten Schnitt. Selbst seine Krawatte, die sie bei anderen Männern oft übertrieben fand, saß perfekt und zeigte nicht den leisesten grauen Schimmer auf dem blendenden Weiß.
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ärgerte sie sein Anblick. Fast genau so sehr, wie es sie ärgerte, dass ausgerechnet er ausgerechnet sie anstarrte. Als könnte er nicht jede Einzelne haben, die in diesem Raum den Traum von der idealen Partie träumte.
Moment … starrte sie nicht ebenfalls?
Eilig senkte sie den Kopf, suchte links und rechts nach einer Gesprächspartnerin, wurde aber nicht fündig. Sie stand auf verlorenem Posten, wie üblich, mitten in einem Raum voller Menschen, wie das Mauerblümchen, zu dem das Leben sie gemacht hatte. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie der perfekte Gentleman sich mit einigen wenigen Worten aus der Gruppe löste und quer durch den Raum schritt, als würde dieses Haus ihm gehören. Ihr Herz stolperte. Sie brauchte einen Ausweg!
Nur dass es keinen gab.
„Lady Stanhope.“ Sie erkannte seine Stimme sofort. Als Kind hatte sie diese Stimme oft gehört. Es war ein Verbrechen, dass Greydon Cavendish noch immer nicht verheiratet war. Wäre er es, wäre sie jetzt nicht in der unangenehmen Lage, mit dem Teufel ihrer Kindheit persönlich sprechen zu müssen. Schon damals war er ein arroganter Geck gewesen, und ihre Meinung änderte auch nicht, dass er mittlerweile als der beste Fang galt, den London zu bieten hatte. Debütantinnen wollten sein Herz stehlen. Mütter wollten seine Schwiegermütter sein. Dabei war es gleich, ob eine Frau mehr Wert auf seine politischen Verbindungen legte oder auf den Glanz seines kupferfarbenen Haars. Greydon Cavendish, der Marquess of Clifford, schien die Antwort auf jede einzelne Vorliebe zu sein, die eine Dame haben konnte.
Bei ihr war es die Stimme, dachte sie mit einem Anflug von Sehnsucht. Eine Stimme, so warm wie der nachtblaue Samt seiner Jacke. Constance prügelte die Sehnsucht innerlich nieder und hob den Kopf, um ihm gerade in die Augen zu sehen. Das war doch lächerlich. Wenn sie einen Teufel als Ehemann haben wollen würde, könnte sie gleich den Plänen zustimmen, die ihre Verwandtschaft für sie machte.
„Mylord Clifford.“ Ganz leicht knickste sie. „Welch eine Ehre, und welch Freude, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen.“
In seinem Mundwinkel zuckte das zynische Grinsen, das sie ihm schon als Kind so gern um die Ohren gehauen hätte. „Ich bin erstaunt, Sie hier zu sehen, Mylady.“ Und als müsse er der Tatsache, dass sie hier war, gebührend Respekt zollen, musterte er sie ungeniert von Kopf bis Fuß. Alles, woran sie denken konnte, war ihr Kleid. Das beste Kleid, das es in ihrer Truhe gab, und doch vollkommen unter aller Würde. Constance kniff die Lippen zu einem schmalen Strich und zwang sich, seinen Blick ohne zu zucken auszuhalten.
„Ich halte mich häufig fern von London auf“, fügte er leutselig hinzu, „aber nach dem, was man hört, sind Sie ein seltener Gast auf gesellschaftlichen Ereignissen.“
Selten? Das war die Untertreibung des jungen Jahrhunderts. Einladungen an die Familie Stanhope sparten Constance, das gefallene Mündel der altehrwürdigen Familie, grundsätzlich aus. Da spielte es keine Rolle, dass ihr Onkel George Stanhope, Earl of Edale, hoffnungslos pleite war und die einzige, die in dieser Familie noch Geld hatte, Constance war. Dieses Geld floss erst, wenn sie volljährig wurde und heiratete. Außerdem war es unwahrscheinlich, dass jemand außerhalb der Familie von ihrem Erbe wusste. Dafür hatte die Countess gesorgt, denn was der Earl und die Countess nicht gebrauchen konnten, war ein Mann, der Interesse an ihrem Mündel zeigte.
Ihrem inneren Aufruhr zum Trotz versuchte Constance, gelangweilt zu klingen. „Gesellschaftliche Ereignisse haben die Angewohnheit, mich zu langweilen. Es gibt so viele andere wunderbare Dinge, um sich die Zeit zu vertreiben, Mylord.“
Im gleichen Moment wusste sie, dass sie etwas ganz und gar Unmögliches gesagt hatte, denn Clifford grinste übers ganze Gesicht. Nicht zynisch, sondern amüsiert. „Da sind wir einer Meinung, Mylady, und finden Sie das nicht ebenfalls erstaunlich? Wenn ich an all die Zeit zurückdenke, die wir in früheren Jahren zusammen verbracht haben, kann ich mich an keine Gelegenheit erinnern, in der Sie und ich zuvor eine Meinung geteilt haben.“
Du meinst die Zeit, als ich dafür gesorgt habe, dass du mit einem gebrochenen Zeh wochenlang zu nichts zu gebrauchen warst, dachte sie grimmig. Die Zeit, als du alles daran gesetzt hast, um deine Schwester und mich zu ärgern, sodass ich gar nicht anders konnte, als es dir heimzuzahlen. Schon damals hatte er ihr prophezeit, dass ein Wildfang wie sie niemals einen anständigen Mann finden würde.
Und doch war es auch die Zeit gewesen, als ihr eigenes Leben noch glücklich und voller Träume für die Zukunft gewesen war. Die beste Zeit ihres Lebens. So, wie sie damals ein Wildfang gewesen war, so war Clifford ein unmöglicher Raufbold gewesen. Älter als sie und eingebildet wie ein junger Gockel. Es hatte keinen einzigen Tag gegeben, an dem sie sich nicht mit ihm gestritten hatte. Er war vielleicht kein Raufbold mehr, aus dieser Charaktereigenschaft schien er herausgewachsen zu sein. Doch ein unmöglicher Kerl war er noch immer. Um das zu beurteilen, reichte ein einziger Blick. Als würde ihm die Tatsache, zum engsten Kreis um den Prinzregenten zu gehören, einen Freibrief geben, damit er machen konnte, was er wollte. Er war arrogant, überheblich und entschieden zu sehr von sich überzeugt.
Doch er nannte sie Mylady. Niemand hatte sie Mylady genannt, seit ihr Vater gestorben war. Als wüssten die Leute nicht mehr, wer sie war.
Clifford trat einen Schritt näher. Zu nah für ihren Geschmack. Der Duft seines Rasierwassers hüllte sie ein, Sandelholz und Gewürze. Sie blinzelte, und der verdammte Mistkerl sah es genau.
„Du bist erwachsen geworden, kleine Connie“, raunte er ihr zu, sodass niemand sonst es hören konnte. Kein anderer anwesender Gentleman würde es wagen, eine Dame bei diesem vertraulichen Namen zu nennen. Nicht einmal wenn diese Dame Constance Stanhope hieß. „Pass gut auf dich auf.“
„Und Sie sind ein Flegel geblieben, Mylord“, gab sie liebenswürdig zurück.
Frech lächelte er sie an. „Das ist das, wofür die meisten Frauen mich lieben.“
„Dann haben Sie ja reichlich Auswahl.“
„In der Tat.“ Er hob eine Braue, trat einen halben Schritt zurück und deutete eine Verbeugung an.
Constances Blut gefror, als er die Hand ausstreckte. Nein!, dachte sie entsetzt. Nein, das tut er nicht, nicht er! Er war nicht hier, um sie um den nächsten Tanz zu bitten! Sie würde sogar mit dem alten Lord Hawick tanzen, der fast blind war und keine Zähne mehr hatte, um aus dem Haus ihres Onkels zu entkommen, aber niemals mit Greydon Cavendish. Auch sie hatte ihren Stolz.
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